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Die Demyelinisierung setzt funktionelle Veränderungen in Gang, die für klinische Merkmale wichtig sind, aber nicht ohne weiteres durch immunologische oder radiologische Veränderungen erklärt werden können. Die Lage einer Plaque sagt voraus, welches System betroffen sein wird (motorisch vs. sensorisch, visuell vs. taktil), aber nicht, wie es betroffen sein wird. Dies unterstreicht die Bedeutung der Beurteilung der Funktion (zusätzlich zur Struktur) und wie sie sich nach der Demyelinisierung verändert. Nach der Einführung demyelinisierender Krankheiten werden wir erörtern, wie die klinischen Manifestationen dieser Krankheiten verschiedene pathologische Veränderungen der Axonfunktion widerspiegeln. Wir werden argumentieren, dass das Verständnis dieser Veränderungen und die vollständige Nutzung dieses Verständnisses für diagnostische und therapeutische Zwecke enorm von der Computermodellierung profitieren können. | Die Demyelinisierung setzt funktionelle Veränderungen in Gang, die für klinische Merkmale wichtig sind, aber nicht ohne weiteres durch immunologische oder radiologische Veränderungen erklärt werden können. Die Lage einer Plaque sagt voraus, welches System betroffen sein wird (motorisch vs. sensorisch, visuell vs. taktil), aber nicht, wie es betroffen sein wird. Dies unterstreicht die Bedeutung der Beurteilung der Funktion (zusätzlich zur Struktur) und wie sie sich nach der Demyelinisierung verändert. Nach der Einführung demyelinisierender Krankheiten werden wir erörtern, wie die klinischen Manifestationen dieser Krankheiten verschiedene pathologische Veränderungen der Axonfunktion widerspiegeln. Wir werden argumentieren, dass das Verständnis dieser Veränderungen und die vollständige Nutzung dieses Verständnisses für diagnostische und therapeutische Zwecke enorm von der Computermodellierung profitieren können. | ||
== | == Demyelinisierende Krankheiten == | ||
[[File:Jay S. Coggan1.jpeg|thumb| | [[File:Jay S. Coggan1.jpeg|thumb|Abbildung 1: Demyelinisierende Erkrankungen des peripheren Nervensystems (PNS). ('''A''') Primäre demyelinisierende Polyneuropathien und ('''B''') Polyneuropathien mit Axonschädigung. Abkürzungen: CMT 1, 2 und 4: Charcot-Marie-Tooth-Krankheit; CMTX: X-chromosomale Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung; HNPP: erbliche Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen; AIDP: akute entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie; GBS: Guillain-Barré-Syndrom. CIDP: chronisch entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie; MGUS: monoklonale Gammopathie unbestimmter Bedeutung; POEMS: Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie oder Ödem M-Protein und Hautanomalien; HSAN I–IV: hereditäre sensorische und autonome Neuropathie.|500x500px]]Es gibt eine große Anzahl demyelinisierender Erkrankungen, die sowohl das PNS (Abbildung 1) als auch das ZNS (Abbildung 2) betreffen. Die Ätiologien sind heterogen und reichen von genetischen Störungen bis hin zu metabolischen, infektiösen oder Autoimmunmechanismen. Multiple Sklerose (MS) ist mit schätzungsweise 3 Millionen Patienten weltweit die am weitesten verbreitete dieser Erkrankungen. Die zugrunde liegende Ursache ist ungewiss, es wird jedoch angenommen, dass sie eine genetische Veranlagung für Umwelteinflüsse beinhaltet<ref name=":0">Trapp B.D., Nave K.A. Multiple sclerosis: An immune or neurodegenerative disorder? Annu. Rev. Neurosci. 2008;31:247–69. doi: 10.1146/annurev.neuro.30.051606.094313. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref name=":1">Compston A., Coles A. Multiple sclerosis. Lancet. 2008;372:1502–1517. doi: 10.1016/S0140-6736(08)61620-7. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref>und kann immunologische, Reaktionsfähigkeit auf Traumata, biophysikalische, genetische und/oder metabolische Komponenten umfassen.<ref name=":1" />Die Symptome und Läsionen müssen zeitlich und räumlich vielfältig sein. Das heißt, es müssen zeitlich mehrere Episoden auftreten, an denen getrennte Teile des zentralen Nervensystems beteiligt sind. Es ist nicht klar, ob die entzündliche Demyelinisierung ein primäres oder sekundäres Ereignis innerhalb des Krankheitsprozesses ist.<ref name=":0" /><ref>Ostermann P.O., Westerberg C.E. Paroxysmal attacks in multiple sclerosis. Brain. 1975;98:189–202. doi: 10.1093/brain/98.2.189. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Twomey J.A., Espir M.L. Paroxysmal symptoms as the first manifestations of multiple sclerosis. J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry. 1980;43:296–304. doi: 10.1136/jnnp.43.4.296. [PMC free article] [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref> Die meisten Behandlungen zielen auf das Immunsystem oder die Blut-Hirn-Schranke ab, aber auch die Behandlung neurologischer Symptome durch Modulation der axonalen Erregbarkeit spielt eine wichtige Rolle (siehe unten).. | ||
[[File:Jay S. Coggan 2.jpeg|left|thumb| | [[File:Jay S. Coggan 2.jpeg|left|thumb|Abbildung 2: Demyelinisierende Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS). Abkürzungen: MS: Multiple Sklerose; ADEM: akute disseminierte Enzephalomyelitis; HIV: menschliches Immunschwächevirus; PML: progressive multifokale Leukenzephalopathie; HTLV-1: menschliches T-lymphotropes Virus 1; PRES: posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom.]] | ||
=== | === Klinische Bewertung von Multipler Sklerose === | ||
Die Symptome sind vielfältig und können bei einem einzelnen Patienten in allen Kombinationen auftreten. Die Diagnose erfordert, dass im Laufe der Zeit mehrere Läsionen und symptomatische Episoden vorliegen müssen, an denen nicht verbundene Teile des ZNS beteiligt sind. Darüber hinaus neigen die Symptome dazu, schlecht mit radiologischen Messungen zu korrelieren. In den allermeisten Fällen korrelieren individuelle klinische Merkmale nicht gut mit MRT-Befunden, insbesondere bei zerebralen Läsionen.<ref>Seewann A., Vrenken H., van der Valk P., Blezer E.L., Knol D.L., Castelijns J.A., Polman C.H., Pouwels P.J., Barkhof F., Geurts J.J. Diffusely abnormal white matter in chronic multiple sclerosis: Imaging and histopathologic analysis. Arch. Neurol. 2009;66:601–609. doi: 10.1001/archneurol.2009.57. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Ceccarelli A., Bakshi R., Neema M. MRI in multiple sclerosis: A review of the current literature. Curr. Opin. Neurol. 2012;25:402–409. doi: 10.1097/WCO.0b013e328354f63f. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref name=":2">Moore J.W., Joyner R.W., Brill M.H., Waxman S.D., Najar-Joa M. Simulations of conduction in uniform myelinated fibers. Relative sensitivity to changes in nodal and internodal parameters. Biophys. J. 1978;21:147–160. doi: 10.1016/S0006-3495(78)85515-5. [PMC free article] [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref> Diese klinisch-radiologische Dissoziation verlangt nach einem besseren theoretischen Verständnis der Demyelinisierungssymptome und der zugrunde liegenden biophysikalischen Veränderungen, die sie begleiten, was natürlich die Frage aufwirft, was genau mit den betroffenen Axonen passiert. | |||
Die Symptome sind oft intermittierend und können sowohl Funktionsverlust (negative Symptome wie Taubheitsgefühl, Muskelschwäche, Kribbeln, Blindheit, Inkontinenz, Verlust der Sexualfunktion, Gleichgewichtsverlust, undeutliche Sprache, Verstopfung, beeinträchtigende Müdigkeit, Depression, kognitive Dysfunktion) umfassen , Unfähigkeit zu schlucken, Gangstörungen und Verlust der Atemkontrolle) und Funktionsgewinn (unter anderem positive Symptome wie Krämpfe, Spastik, Krämpfe, Schmerzen, verschwommenes oder doppeltes Sehen, Harndrang oder Zögern, Übelkeit)..<ref>Waxman S.G., Kocsis J.D., Stys P.K. The Axon: Structure, Function and Pathophysiology. Oxford University Press; New York, NY, USA: 1995. [Google Scholar]</ref>Frühe differenzialdiagnostische Kriterien sind das Lhermitte-Zeichen (Halsbeugegefühle) und das Uhthoff-Phänomen (temperaturabhängige Verschlechterung der Beschwerden). Die Differenzialdiagnose der MS richtet sich eng nach den McDonald-Kriterien.<ref>Polman C.H., Reingold S.C., Banwell B., Clanet M., Cohen J.A., Filippi M., Fujihara K., Havrdova E., Hutchinson M., Kappos L., et al. Diagnostic criteria for multiple sclerosis: 2010 revisions to the McDonald criteria. Ann. Neurol. 2011;69:292–302. doi: 10.1002/ana.22366. [PMC free article] [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref> | |||
In | In humandiagnostischen Studien zu visuell, sensorisch oder motorisch evozierten Potentialen (VEP, SEP, MEP) kann nur die Latenz oder Leitungsgeschwindigkeit genau gemessen werden (mit etwa 30–40 % Schwankungen zwischen verschiedenen Labors). Aber diese Messungen geben wenig Aufschluss über zugrunde liegende Mechanismen, die eine Verlangsamung oder Blockierung der Leitung beinhalten, oder morphologische oder funktionelle Faktoren wie Verzweigung, Demyelinisierung, Remyelinisierung, axonale Verjüngung (Abnahme der Querschnittsfläche), Dämpfung oder erneutes Wachstum, temperaturbedingte Änderungen der Leitung , oder Malpolarisation (Hyper oder Hypo). Nichtsdestotrotz kann die Art der demyelinisierenden Läsion Hinweise auf die Ätiologie geben und daher die Behandlung leiten; Beispielsweise scheinen genetische Faktoren stärker mit internodalen Krankheitsprozessen zu korrelieren, und immunologische Dysfunktionen verursachen paranodale Anomalien.<ref name=":3">Stephanova D.I., Dimitrov B. Computational Neuroscience: Simulated Demyelinating Neuropathies and Neuronopathies. CRC Press; Boca Raton, FL, USA: 2013. [Google Scholar]</ref> | ||
Eine Reihe von Tests werden routinemäßig verwendet, um die neurale Funktion zu beurteilen. Bei der Elektroneurographie wird ein kurzer elektrischer Stimulus an einer anatomisch vordefinierten Position an einen peripheren Nerv angelegt, um die Latenz und Amplitude des zusammengesetzten Aktionspotentials an einer anderen Stelle entlang des Nervs zu messen. Die Ergebnisse müssen in Kombination mit klinischen Befunden und Tests (z. B. Elektromyographie) interpretiert werden, aber es ist wichtig, dass verschiedene Krankheiten unterschiedliche Muster elektroneurographischer Veränderungen aufweisen. Dies ist nicht nur für diagnostische Zwecke wichtig, sondern kann auch auf spezifische pathologische Veränderungen der Axonfunktion hinweisen, die wiederum bei der Wahl der Therapie hilfreich sein könnten (wenn die Axonpathobiologie verstanden würde; siehe unten). Unter Verwendung von Threshold-Tracking wurde die Erregbarkeit beim Menschen für verschiedene periphere demyelinisierende Erkrankungen gemessen, darunter die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit Typ 1A (CMT1A), die chronisch entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP), das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) und die multifokale motorische Neuropathie (MMN). ).<ref name=":4">Bostock H., Baker M., Reid G. Changes in excitability of human motor axons underlying post-ischaemic fasciculations: Evidence for two stable states. J. Physiol. 1991;441:537–557. doi: 10.1113/jphysiol.1991.sp018766.[PMC free article] [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Mogyoros I., Kiernan M.C., Burke D., Bostock H. Strength-duration properties of sensory and motor axons in amyotrophic lateral sclerosis. Brain. 1998;121:851–859. doi: 10.1093/brain/121.5.851. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref name=":5">Kiernan M.C., Burke D., Andersen K.V., Bostock H. Multiple measures of axonal excitability: A new approach in clinical testing. Muscle Nerve. 2000;23:399–409. doi: 10.1002/(SICI)1097-4598(200003)23:3<399::AID-MUS12>3.0.CO;2-G. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Cappelen-Smith C., Kuwabara S., Lin C.S., Mogyoros I., Burke D. Membrane properties in chronic inflammatory demyelinating polyneuropathy. Brain. 2001;124:2439–2447. doi: 10.1093/brain/124.12.2439. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Kuwabara S., Ogawara K., Sung J.Y., Mori M., Kanai K., Hattori T., Yuki N., MLin C.S., Burke D., Bostock H. Differences in membrane properties of axonal and demyelinating Guillain-Barré syndromes. Ann. Neurol. 2002;52:180–187. doi: 10.1002/ana.10275. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Nodera H., Bostock H., Kuwabara S., Sakamoto T., Asanuma K., Jia-Ying S., Ogawara K., Hattori N., Hirayama M., Sobue G., et al. Nerve excitability properties in Charcot-Marie-Tooth disease type 1A. Brain. 2004;127:203–211. doi: 10.1093/brain/awh020. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Sung M.H., Simon R. In silico simulation of inhibitor drug effects on nuclear factor-κB pathway dynamics. Mol. Pharmacol. 2004;66:70–75. doi: 10.1124/mol.66.1.70. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref>Die Herausforderung liegt in der Interpretation dieser Beobachtungen. Zu diesem Zweck hat die Gruppe von Stephanova zunehmend größere Grade systematischer und fokaler Demyelinisierung von Motorfasern simuliert, um zu versuchen, die beobachteten physiologischen Veränderungen zu erklären<ref>Stephanova D.I., Daskalova M. Differences in potentials and excitability properties in simulated cases of demyelinating neuropathies. Part III. Paranodal internodal demyelination. Clin. Neurophysiol. 2005;116:2334–2341. doi: 10.1016/j.clinph.2005.07.013. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Stephanova D.I., Daskalova M.S. Differences between the channels, currents and mechanisms of conduction slowing/block and accommodative processes in simulated cases of focal demyelinating neuropathies. Eur. Biophys. J. 2008;37:829–842. doi: 10.1007/s00249-008-0284-1. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Stephanova D.I., Alexandrov A.S. Simulating mild systematic and focal demyelinating neuropathies: Membrane property abnormalities. J. Integr. Neurosci. 2006;5:595–623. doi: 10.1142/S0219635206001331. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Stephanova D.I., Daskalova M., Alexandrov A.S. Channels, currents and mechanisms of accommodative processes in simulated cases of systematic demyelinating neuropathies. Brain Res. 2007;1171:138–151. doi: 10.1016/j.brainres.2007.07.029. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref name=":6">Stephanova D.I., Krustev S.M., Negrev N., Daskalova M. The myelin sheath aqueous layers improve the membrane properties of simulated chronic demyelinating neuropathies. J. Integr. Neurosci. 2011;10:105–120. doi: 10.1142/S0219635211002646. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Stephanova D.I., Alexandrov A.S., Kossev A., Christova L. Simulating focal demyelinating neuropathies: Membrane property abnormalities. Biol. Cybern. 2007;96:195–208. doi: 10.1007/s00422-006-0113-5. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref> (siehe Abschnitt „Modellierung“ weiter unten). | |||
=== | === Beteiligung von Zellkörpern === | ||
Progression | Die Progression von schubförmig remittierender MS (RRMS) zur sekundär progredienten MS (SPMS) ist mit einer stärkeren Beteiligung der Pathologie der grauen Substanz verbunden, obwohl eine Beteiligung der Axone/der grauen Substanz bereits in frühen Krankheitsstadien beobachtet werden kann.<ref>Bø L., Geurts J.J., Mörk S.J., van der Valk P. Grey matter pathology in multiple sclerosis. Acta Neurol. Scand. Suppl. 2006;183:48–50. doi: 10.1111/j.1600-0404.2006.00615.x. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Geurts J.J., Barkhof F. Grey matter pathology in multiple sclerosis. Lancet Neurol. 2008;7:841–851. doi: 10.1016/S1474-4422(08)70191-1. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Zivadinov R., Pirko I. Advances in understanding gray matter pathology in multiple sclerosis: Are we ready to redefine disease pathogenesis? BMC Neurol. 2012;12 doi: 10.1186/1471-2377-12-9. [PMC free article] [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Popescu B.F., Lucchinetti C.F. Pathology of demyelinating diseases. Annu. Rev. Pathol. 2012;7:185–217. doi: 10.1146/annurev-pathol-011811-132443.[PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref> Die Schädigung der grauen Substanz gilt als zugrunde liegender Mechanismus des Krankheitsverlaufs und der dauerhaften Behinderung bei MS-Patienten und wird durch den Verlust der Hirnparenchymfraktion oder des Gehirnvolumens durch MRT oder klinisch durch Progression auf der erweiterten Behinderungsstatusskala (EDSS) gemessen.<ref>Kurtzke J.F., Beebe G.W., Nagler B., Nefzger M.D., Auth T.L., Kurland L.T. Studies on the natural history of multiple sclerosis: V. Long-term survival in young men. Arch. Neurol. 1970;22:215–225. doi: 10.1001/archneur.1970.00480210025003. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref>Der Übergang von RRMS zu SPMS ist ein Vorzeichen für den Mangel an Therapeutika zur Bekämpfung der verschlimmerten körperlichen und kognitiven Verschlechterung, mit der die meisten SPMS-Patienten konfrontiert sind.<ref name=":0" /><ref>Rao S.M., Leo G.J., Bernardin L., Unverzagt F. Cognitive dysfunction in multiple sclerosis. I. Frequency, patterns, and prediction. Neurology. 1991;41:685–691. doi: 10.1212/WNL.41.5.685. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref> | ||
==== | ==== Behandlung ==== | ||
Die wichtigsten Eingriffe bei MS umfassen die Modulation der Immunantwort mit beispielsweise Methly-Prednisolon, Interferon betas, Glatirameracetat oder Fingolimod oder die Verhinderung der Überquerung der BHS durch Entzündungszellen (monoklonale Antikörper, z. B. Tysabri (Anti-α4-Integrin, Natalizumab )). Vor kurzem wurden die ersten beiden oralen Wirkstoffe (Fumarat und Teriflunomid) sowie der gegen CD52 gerichtete Antikörper Natalizumab für die Behandlung von RRMS zugelassen, die erfolgreich mit Erstlinientherapien wie Interferonen, Glatirameracetat oder Fingolimod oder durch behandelt werden kann Zweitlinientherapien, aber progressive Formen (PPMS, SPMS) stellen immer noch einen ungedeckten biomedizinischen Bedarf dar.<ref>Meuth S.G., Bittner S., Ulzheimer J.C., Kleinschnitz C., Kieseier B.C., Wiendl H. Therapeutic approaches to multiple sclerosis: An update on failed, interrupted, or inconclusive trials of neuroprotective and alternative treatment strategies. BioDrugs. 2010;24:317–330. doi: 10.2165/11537190-000000000-00000. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref> Antineoplastika werden in extrem fortgeschrittenen oder schwierigen Fällen eingesetzt.<ref>Goldenberg M.M. Multiple sclerosis review. Pharm. Ther. 2012;37:137–139.[PMC free article] [PubMed] [Google Scholar]</ref> | |||
Krankheitsmodifizierende Medikamente sind entscheidend, um den Demyelinisierungsprozess zu stoppen oder zumindest abzuschwächen, aber ebenso wichtig ist es, die Symptome zu behandeln, die sich aus einer bereits aufgetretenen Demyelinisierung ergeben. Die Ionenkanalmodulation wird mit dem Aufkommen neuer Ionenkanalblocker wie Ampyra (K-Kanal-Blockade) zunehmend vielversprechend.<ref>Göbel K., Wedell J.H., Herrmann A.M., Wachsmuth L., Pankratz S., Bittner S., Budde T., Kleinschnitz C., Faber C., Wiendl H., et al. 4-Aminopyridine ameliorates mobility but not disease course in an animal model of multiple sclerosis. Exp. Neurol. 2013;248:62–71. doi: 10.1016/j.expneurol.2013.05.016.[PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref><ref>Krishnan A.V., Kiernan M.C. Sustained-release fampridine and the role of ion channel dysfunction in multiple sclerosis. Mult. Scler. 2013;19:385–391. doi: 10.1177/1352458512463769. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref> Die Kaliumkanalblockade soll die Erregbarkeit von Axonen verbessern. Das Problem ist, dass solche Eingriffe, obwohl sie bei der Behandlung negativer Symptome und der Wiederherstellung der Funktion wirksam sind, dazu neigen, positive Symptome zu verschlimmern.<ref>Bowe C.M., Kocsis J.D., Targ E.F., Waxman S.G. Physiological effects of 4-aminopyridine on demyelinated mammalian motor and sensory fibers. Ann. Neurol. 1987;22:264–268. doi: 10.1002/ana.410220212. [PubMed] [CrossRef] [Google Scholar]</ref> Umgekehrt kann die Behandlung positiver Symptome wie Spasmen mit Antiepileptika wie beispielsweise Carbamazepin negative Symptome verstärken.<ref>Sakurai M., Kanazawa I. Positive symptoms in multiple sclerosis: Their treatment with sodium channel blockers, lidocaine and mexiletine. J. Neurol. Sci. 1999;162:162–168. doi: 10.1016/S0022-510X(98)00322-0. [PubMed] </ref> Tatsächlich reduziert das Blockieren von Na+-Kanälen nicht nur positive Symptome, es kann auch neuroprotektiv sein (weil die Ansammlung von Na+ dazu führt, dass Na+/Ca2+-Austauschmechanismen Neuronen mit Ca2+ beladen, das exzitotoxisch ist).<ref>Mattson M.P., Guthrie P.B., Kater S.B. A role for Na+-dependent Ca2+extrusion in protection against neuronal excitotoxicity. FASEB J. 1989;3:2519–2526. [PubMed] [Google Scholar]</ref> (Abbildung 3), aber diese Vorteile gehen zu Lasten negativer Symptome. Daher und insbesondere bei einem Patienten, der eine Mischung aus positiven und negativen Symptomen aufweist, sind die Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt. | |||
[[File:Jay S. Coggan 3.jpeg|center|thumb|600x600px| | [[File:Jay S. Coggan 3.jpeg|center|thumb|600x600px|Mechanismen der demyelinisierungsbedingten Neurodegeneration. Demyelinisierung kann fortschreitend zu ionischen Ungleichgewichten, Energiekrise, Leitungsblock und schließlich Neurodegeneration führen. ('''A''') ein normaler Knoten von Ranvier mit intakten juxtaparanodalen, paranodalen und nodalen Regionen, die darstellen <math>Na^+,K^+,Ca^+</math>Ionen fließen durch ihre jeweiligen Kanäle mit Mitochondrien, die das ATP für energieabhängige liefern <math>Na^+,K^+ ATP</math>asen, die die Ionengradienten wiederherstellen, die durch den Ionenfluss durch die Kanäle erschöpft sind. Im Axon sind zahlreiche verschiedene Ionenkanäle vorhanden, aber hier ist nur eine kleine Teilmenge dargestellt; ('''B''') partielle Demyelinisierung führt zur Auflösung von Knotenionenkanälen, Energiemangel und Ungleichgewichten von Ionengradienten; ('''C''') Eine vollständige Demyelinisierung kann zu einem Leitungsblock und einer axonalen Degeneration aufgrund der Akkumulation von intrazellulärem führen <math>Ca^+</math> die aus Energiekrisen und Störungen des Ionengleichgewichts resultieren. Abkürzungen: <math>K_v1</math>: Kaliumkanal Typ 1; <math>Na_{v}1.6</math> und <math>Na_{v}1.2</math>: Natriumkanaltypen 1.6 und 1.2;; <math>Na^+,Ca^+</math>Tauscher:<math>Na^+,Ca^+</math> Austauschpumpe; <math>Na^+,K^+ ATP</math>ase: ATP (Energie)-abhängig <math>Na^+,K^+</math>Austauschpumpe; CASPR1: Contactin-assoziiertes Protein 1 (Wechselwirkungsmolekül zwischen myelinisierender Zelle und Axon);<math>NF55</math>: Neurofascin 155 (vorherrschendes Wechselwirkungsmolekül zwischen Myelin und Axon an der paranodalen Axo-Glia-Verbindung).]] | ||
Die obige Diskussion wirft den wichtigen Punkt auf, dass, obwohl viel Lärm um Immunmechanismen gemacht wurde, ihre Verbindung mit klinischen Veränderungen weitgehend korreliert ist. Man muss die intermediären Wirkungen auf die axonale Funktion berücksichtigen, nämlich die primären und sekundären (kompensatorischen) Änderungen der Axon-Erregbarkeit, um zu verstehen, wie die neurologische Funktion verändert wird. Diese Veränderungen sind keine einfachen und direkten Folgen der Demyelinisierung, sondern legen stattdessen nahe, dass sich die axonale Physiologie selbst als Reaktion auf die Demyelinisierung verändert. Einige dieser Veränderungen sind adaptiv, während andere maladaptiv sind, oder vielleicht können adaptive Veränderungen maladaptiv werden, wenn sich die Situation (Myelinisierungsstatus) weiterentwickelt. Wenn Veränderungen in der Axonphysiologie die Manifestation verschiedener Symptome diktieren, dann wird die Symptombehandlung weitgehend auf Behandlungen fallen, die darauf abzielen, die Axonphysiologie zu manipulieren. Die strategische Entwicklung solcher Behandlungen erfordert ein tiefes, mechanistisches Verständnis der axonalen Erregbarkeit und ihrer Regulation. | |||
=== Axon Pathobiology === | === Axon Pathobiology === |